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Spritze wird aufgezogen

Ein Arzt, drei Jobs: Warum Ali Sigaroudi sich für diesen vielfältigen Arbeitsstil entschieden hat

Ali Sigaroudi (42) ist Facharzt für Allgemeine Innere Medizin sowie Klinische Pharmakologie & Toxikologie und lebt seit 2015 in der Schweiz. Er liebt seinen vielfältigen Lebensstil und teilt seine Arbeit in mehrere verschiedene Bereiche auf. Aktuell arbeitet er als Oberarzt der Inneren Medizin in einem A-Spital, ist in diversen Ärztepools von Notfallpraxen (Permanence/Walk-in Praxis) und unterstützt mehrere Startups (aprioris, alcare und ab September oviva). Im Interview erzählt uns Ali, wie er dazu gekommen ist; warum dieser Lebensstil für ihn super passt und wie er all dies unter einen Hut kriegt.

Medicus

29.07.2024

Wieso hast du dich für mehrere Jobs gleichzeitig entschieden? 

Grundsätzlich finde ich jeden Bereich sehr spannend, egal ob stationär, ambulant, Lehre, Forschung oder Startups. Abwechslung ist mir wichtig, weshalb es mir auch sehr entspricht, mich so vielseitig einbringen zu können. Diese Arbeitsweise ermöglicht es mir, die Medizin aus verschiedenen Perspektiven kennenzulernen und meinen Horizont zu erweitern. 

Wie bist du dazu gekommen? 

Jedesmal, wenn ich in einem meiner Jobs tätig war, habe ich mir die Frage gestellt, ob ich das für immer machen will. Die Antwort dazu war fast immer Nein. Nach sehr vielen Wechseln habe ich dann gemerkt, dass ich mir die falsche Frage stelle und mich gar nicht für nur eines entscheiden muss. Ich habe gemerkt, dass ich mehrere Sachen machen will, da meine Interessen vielseitig sind. In einem niedrigeren Pensum konnte ich mir in allen Bereichen vorstellen, dies bis zur Rente zu praktizieren. 

Was ist die grösste Challenge? 

In meiner Konstellation ist es eine Herausforderung, die 50-Stunden Arbeitszeit pro Woche nicht zu überschreiten. 

Wem empfiehlst du eine ähnliche Arbeitsweise? 

Theoretisch denke ich, dass dies für jeden, der/die merkt, dass er/sie in einer Komfortzone gefangen ist, eine gute, neue Challenge sein könnte. Dies ist der beste Augenblick, sich niedrigprozentig eine neue Herausforderung zu suchen, um so im direkten Vergleich herauszufinden, was einem vielleicht ebenfalls noch liegt. 

Welche Tipps hast du für (angehende) Ärzt:innen, die einen ähnlichen Lebensstil anstreben?

Mir ist bewusst, dass es schwierig ist, mehrere Jobs direkt in den ersten Jahren während der Weiterbildung anzustreben. Sobald man jedoch einen Facharzttitel hat, kann man sich aufgrund der hohen Nachfrage an Ärzten diesen Lifestyle erlauben. Ich empfehle daher, erstmals den Facharzt abzuschliessen und sich danach in das Abenteuer zu wagen. 

Was war dein grösstes Learning? 

Zu erkennen, wann die Lernsättigungskurve erreicht ist. Ich musste lernen, nicht zu warten, bis ich etwas zu 90% oder mehr kann. Für die letzten 10% vergehen meiner Meinung nach zu viel Lebenszeit und Energie, so dass es meist nicht wert ist, Perfektion anzustreben. Sicherlich gibt es aber Fächer, für die meine Rechnung nicht aufgeht. 

Wo siehst du deine Zukunft?

Ab September werde ich noch mehr in Startups involviert sein und meine Tätigkeit als Arzt im Spital aufgeben, obgleich ich nicht gänzlich ausschliesse, wenn auch nur in Teilzeit, irgendwann wieder in das Spital-Leben zurückzukehren. Ich werde jedoch nach wie vor in diversen Ärztepools tätig sein, um nicht ganz den unmittelbaren Patientenkontakt zu verlieren. Über die langfristige Zukunft möchte ich nichts vorhersagen. Ich bin jemand, der sich gerne treiben lässt und hätte beispielsweise auch nie gedacht, dass ich mal in die Schweiz kommen werde oder Internist und Hausarzt werde. Ich lasse mich gerne überraschen. Für mich ist der Weg das Ziel und das Ziel nur eine Illusion in der Zukunft, zu der man ohnehin nie ankommen wird. Vom Letzterem (Ziel) sollte man sein Glück nicht abhängig machen lassen.

Was ist dir bei einem Arbeitgeber wichtig, worauf legst du im Team sowie beim Arbeitgeber wert?

Für mich ist wichtig, dass einem Einzelnen keine Steine in den Weg gelegt werden. Jede:r Jeck ist anders (sagt man in meiner Heimatstadt Köln), weshalb Flexibilität vom Arbeitgeber essentiell ist. Zudem finde ich Raum für regelmässiges, konstruktives Feedback zentral, damit man sich weiterentwickeln und seine Fähigkeiten verbessern kann. Vom Vorgesetzten erwarte ich Vertrauen in die Fähigkeiten der Mitarbeitenden und das Gewähren von Autonomie bei der Erledigung der Aufgaben. Glücklicherweise finde ich all dies bei meinen aktuellen Arbeitgebern wieder.

Hast du einige Tipps für den Schritt als Arzt oder Ärztin in die Schweiz? 

Es gibt gewisse Vorbehalte gegenüber der Schweiz, die in Relation gesehen nicht (beziehungsweise nicht in dem Ausmass) stimmen, andere jedoch schon. Beispielsweise finde ich es nicht einfach, bei den Einheimischen Anschluss zu finden. Es gibt aber viele spannenden Expats und interessante Menschen, die sich in Zürich und anderen Städten bewegen. Ich empfehle jedem, sich hundert Prozent für die Schweiz zu committen und sich aus dem Heimatland abzumelden, sonst gibt man dem Projekt Schweiz nicht die Möglichkeit einen für das Land zu begeistern. Nicht nur erspart man sich auf diese Weise das tägliche Pendeln (im Falle von Grenzgängern), sondern kann das Geld, das man beim Wegfall des Pendeln aber auch steuerlich spart, für eine Wohnung innerhalb der Schweizer Grenzen ausgeben. 

Du verbringst jedes Jahr noch einige Wochen im Ausland und unterstützt freiwillig in Entwicklungsländern in Afrika die Organisationen mudiro und die deutsche Kamerun-Hilfe e.V . Kannst du uns etwas mehr dazu erzählen?

Einmal pro Jahr versuche ich, in einem Entwicklungshilfeprojekt dabei zu sein. Diese Erfahrung ist für mich persönlich sehr lehrreich und erdend. Diese Einsätze haben meine Sicht auf die interkulturelle Kommunikation,aber auch auf die Medizin verändert, die ich auch in meinen beruflichen Alltag als Referenz mit einbringe. Es ist also einerseits eine sehr befriedigende Tätigkeit, die mir viel zurückgibt und zudem ermöglicht, ein paar Extra Skills zu erlangen. 

Was möchtest du unserer Ärzt:innen - Community mit auf den Weg geben?

Egal wie unrealistisch oder gar unmöglich und unkonventionell eure Ideen klingen mögen, versucht diese umzusetzen. Aktuell ist die Ärzteschaft so gefragt, dass wir uns erlauben können, verschiedene Sachen auszuprobieren. 

Vielen herzlichen Dank!

Ali Sigaroudi

Facharzt für Allgemeine Innere Medizin sowie Klinische Pharmakologie & Toxikologie

Ali ist 42 Jahre alt, in Deutschland aufgewachsen und seit 2015 in der Schweiz sesshaft. Nebst seiner Tätigkeit als Arzt unterstützt er mehrere Startups und leistet jährlich Freiwilligeneinsätze in Afrika.