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Noch ein Facharzt-Blick

Der andere Blick auf die Medizin: Valeria Scheiwiller über Wirkung, Wandel und den Sprung ins Berufsleben

Valeria Scheiwiller ist ehemalige swimsa Präsidentin und nun seit Januar 2025 Assistenzärztin in der Psychiatrie bei der Clienia Gruppe. Im Interview spricht sie über ihren spannenden Weg, ihre Ungeduld, Impact und die Frage, ob man das System besser von innen oder von aussen verändert.

Medicus

06.06.2025

Valeria, du hast unglaublich viel gemacht während des Medizinstudiums – von einem Master im Tessin über internationale Vernetzung bis hin zur Forschung. Woher kam dieses breite Engagement?

Ich hatte immer viele Ideen, aber oft wenig Möglichkeiten, diese umzusetzen. Deshalb habe ich nach Wegen gesucht, wie ich diese realisieren kann. Während meiner Zeit in der swimsa erhielt ich die Möglichkeit diese auszuführen und mich auszutauschen mit Gleichgesinnten im In- und Ausland. Dies hat mir neue Perspektiven eröffnet und auch klar gezeigt, was nicht funktioniert in unserem Gesundheitswesen.

Du warst auch beim BAG und der WHO – zwei ziemlich grosse Player im Public-Health-Bereich. War das dein Ziel?

Ich dachte lange, wenn ich etwas verändern möchte, dass der Weg via internationale Gesundheitspolitik der sinnvollste und schnellste ist. Schnell musste ich feststellen, dass es dies für mich doch nicht der sinnvollste - und schon gar nicht der schnellste - Weg war. Man kann zwar viel mitreden, jedoch wenig verändern. Ich realisierte, dass ich lieber etwas an der Basis und im Alltag der Gesundheitsprofessionen verändern will - und ich interessiere mich primär für die Schweiz. Ich hatte genug von Computerprogrammen und nicht interoperablen Prozessen in Kliniken, die nicht funktionieren. Genug von Gesundheitsfachpersonen, welche ausgebrannt in ihrem Beruf tätig sind und darüber nachdenkenm aufzuhören.  

Was bedeutet "etwas bewegen" konkret für dich?

Für mich ist wichtig, dass etwas einen Impact hat. Ich möchte Prozesse verbessern – systemisch denken liegt mir. Ich sehe überall, wie man Dinge besser machen könnte. Ich will sehen, dass sich nach ein paar Wochen oder Monaten etwas positiv verändert hat für die Menschen, die im Gesundheitswesen arbeiten.

Und wie kam dann die Entscheidung zur Psychiatrie zustande?

Im 6. Jahr habe ich mich für Psychiatrie entschieden, unter anderem auch, weil dort Teilzeitarbeit besser möglich ist. Das gibt mir Raum für andere Projekte. Aber auch, weil psychische Erkrankungen stark mit gesellschaftlichen Faktoren zusammenhängen. Die Psychiatrie zeigt, wie systemisch unsere Probleme sind. Ob ich dort bleibe, weiss ich noch nicht.

In deiner Doktorarbeit forschst du zudem zu einem spannenden Thema – dem Ausstieg und Verbleib von Ärzt:innen aus dem Beruf. Kannst du uns mehr dazu erzählen?

Ich habe eine Umfrage Studie gestartet, die untersucht, warum Ärzt:innen aus dem Beruf aussteigen – und wie wir sie im System halten können. Die Daten sind super spannend. Ich habe erst etwa 10% analysiert, aber wir reichen gerade die erste Publikation ein und ich durfte sie Ende April an einem WHO-Kongress zum Thema Healthcare Workforce Modelling vorstellen.

Hast du schon eine Idee, wohin dich diese Forschung führen könnte?

Ich glaube es ist nicht relevant, wohin es mich als Person hinführt, sondern eher, was sich durch meine Forschung verändert im Gesundheitswesen als System. Ich wünsche mir, dass sich mittel- und langfristig die Verbleiberate im Beruf der Ärzte:Innen erhöht wird und wir ein Gesundheitswesen erschaffen, in welchem arbeiten Spass macht, es sinnvoll ist und die Patienten im Zentrum stehen. Solange ich mich um mein Patient, das Gesundheitswesen kümmern kann, bin ich erfüllt. 

Und Politik? Ist das ein möglicher Weg?

Ich finde Gesundheitspolitik spannend, aber ich sehe es realistisch: Die Chance, wirklich Einfluss zu nehmen, z. B. in der Gesundheitskommission, ist klein. Trotzdem würde ich es sehr spannend finden, z. B. ein Postulat mitzugestalten, wenn ein Nationalrat fragt: Warum hören so viele Ärzt:innen auf? Da an der Schnittstelle zu stehen und mich für die Anliegen der Gesundheitsfachpersonen einzusetzen – das reizt mich.

Was brauchst du, damit du deinen Weg findest?

Ich brauche eine sinnhafte Tätigkeit, Freiheit in der Gestaltung und Wirksamkeit mit Resultaten– das war bei der swimsa ideal. Ich hatte ein Exekutivmandat, aber gleichzeitig viel Spielraum. So konnte ich gestalten. Das ist für mich eine gute Ressource, um wirklich etwas zu verändern.

Wie erlebst du den Übergang vom Studium zum Berufsleben?

Intensiv. Viele sind verloren: Welcher Facharzt soll es sein? Man fällt in eine Welt, in der plötzlich Fremdbestimmung herrscht und man vielen Rollen gerecht werden muss, für welche man nicht vorbereitet wurde. Von Tag 1 sind Menschen (Patienten, Vorgesetzte, Angehörige, Mitarbeiter, Codierer, Krankenkassen, etc.) abhängig von dir – das ist ein riesiger Switch. 

Hast du Tipps für Studienabgänger:innen?

Ich denke wichtig für Berufseinsteiger:Innen ist zu wissen, dass man wenig Spielraum hat in der Gestaltung des Arbeitsalltags und bedingt durch die Rigidität des Gesundheitswesen. Man gewöhnt sich aber daran, gilt das als Tipp? Für mich stellt sich hier die Frage, ob ich das System effektiver von Innen als Ärztin oder von Aussen, nicht klinisch tätig, verändern kann.

Und wo liegt deine grösste Herausforderung?

Ich bin ultra ungeduldig (lacht). Meine Oberärztin sagt mir immer: „Das musst du aushalten. Du musst warten können.“ Aber das fällt mir schwer – ich will, dass sich etwas verändert. Und am liebsten sofort.

Vielen Dank, Valeria!

Valeria Scheiwiller

Assistenzärztin Psychiatrie

Valeria Scheiwiller ist ehemalige swimsa Präsidentin und Assistenzärztin in der Psychiatrie bei der Clienia Gruppe.

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